Ich hatte in den letzten Jahren die Gelegenheit, mehrere Unternehmensnachfolgen mit mehr oder weniger Abstand zu beobachten. Ein Unternehmen wurde jeweils verkauft: an ein anderes Unternehmen oder eine Einzelperson. Einige Fälle möchte ich etwas näher betrachten. Da sich diese Prozesse über mehrere Jahre hinzogen (wie geplant), sind auch die Beobachtungen über einen längeren Zeitraum entstanden. Entstanden ist kein strukturierter Erlebnisbericht, vielmehr die Ansammlung von Eindrücken, offenen Fragen und eher traurigen Gedanken. Dabei drängten sich immer wieder diese drei Fragen auf:
- Was passiert eigentlich, wenn ein Unternehmensnachfolger weder Interesse noch Eignung für seine Aufgabe mitbringt?
- Wenn bewährte Prozesse ignoriert, Kunden enttäuscht und das eigene Team systematisch verschreckt wird?
- Wenn vorhandenes Wissen vernichtet und Vorsprünge gegenüber dem Wettbewerb aufgegeben werden?
Dieser Artikel analysiert, wie funktionierende, über viele Jahre erfolgreiche Unternehmen durch Fehlentscheidungen, Kommunikationsverweigerung oder andere Führungsschwächen in die Mittelmäßigkeit gestürzt wurden – und warum nicht jede Nachfolge automatisch Zukunft bedeutet.
1. Vom Unternehmer zur Verwaltungskraft – der Rückbau einer Vision
Oder auch: Vom Unternehmer zum Unterlasser – eine Transformation mit Kollateralschaden
Ein ganz wichtiges Kriterium: Was unterscheidet eigentlich einen Selbständigen von einem Unternehmer? Dazu habe ich, schon vor vielen Jahren, mal die folgenden Definitionen festgelegt:
- Der Selbständige arbeitet. Der Unternehmer denkt.
- Der Selbständige setzt um. Der Unternehmer entwickelt.
- Der Selbständige folgt der Nachfrage. Der Unternehmer schafft Nachfrage.
- Der Selbständige liefert ab. Der Unternehmer gestaltet Märkte.
Der Unternehmer denkt also in Märkten. Der Verwalter? Im besten Fall in Tabellen.
Damit ein Missverständnis gar nicht erst aufkommt: natürlich gehen Eigenschaften des Selbständigen in die des Unternehmers ein. Also vielleicht wäre eine auf den Unternehmer bezogene Version der obigen Tabelle so:
- Der Unternehmer denkt und arbeitet dann.
- Der Unternehmer entwickelt (Produkte, Leistungen etc) und setzt diese dann um.
- Der Selbständige schafft Nachfrage (nach zusätzlichen oder neuen Angeboten) und beliefert seine Kunden damit.
- Der Selbständige gestaltet Märkte und beliefert diese dann mit massgeschneiderten Leistungen.
Während der Unternehmer also Chancen identifiziert, Geschäftsmodelle baut und Alleinstellungsmerkmale schärft, verwaltet der Verwalter lediglich den Status quo – und zwar meist schlecht. In jedem Fall ist das schlecht, denn es fehlt ihm jedes Einzigartige, die strategischen Entscheidungen überlässt er anderen.
Aber, wie, wenn aus dem Ei des Unternehmensnachfolgers nicht ein Unternehmer, sondern „nur“ ein Selbständiger schlüpft? Und wenn dann niemand mehr weiß, wofür das Unternehmen eigentlich noch steht?
So geschehen in diesem Fall:
Aus einem agilen, kundennahen Unternehmen mit hoher Fachreputation wurde ein beliebiger Betrieb unter vielen.
- Die Besonderheiten? Abgeschafft.
- Die Innovationen? Eingeebnet.
- Das Team? Dezimiert.
- Die Kunden? Verwirrt.
Der Unterschied zwischen Selbständigen und Unternehmern?
Perspektive. Gestaltungskraft.
Fehlt all das, bleibt am Ende nur Technik ohne Seele.
Mit anderen Worten:
Der zentrale Unterschied zwischen Selbständigkeit und Unternehmertum ist Prozess-Intelligenz.
Der neue Geschäftsführer bringt stattdessen nur einen ausgeprägten Prozess-Instinkt mit: Alles, was nach Struktur, Verantwortung oder Strategie riecht, wird zuverlässig ignoriert oder abgeschafft.
Warum auch Prozesse dokumentieren, wenn man sie stattdessen irgendwie fühlen kann?
2. Kommunikationsverweigerung als Führungsstil – der große Flüstercode
Oder auch: Kommunikationsdefizit als Unternehmensstrategie
Wer in der Öffentlichkeit steht, führt.
Wer kommuniziert, baut Vertrauen auf.
Und wer schweigt, verliert Relevanz. In diesem Fall: vollständig.
Ein Beispiel: Branchenevent, Diskussionsrunde, Firmenvorstellung. Jeder Teilnehmer stellt sich als Mensch und sein Unternehmen vor.
Der neue Geschäftsführer soll also sich und sein Unternehmen vorstellen. Was macht er? Reicht das Mikrofon weiter:
„Das überlasse ich mal dem …“. Der kann das besser.
Interessiertes Schweigen bei den Wettbewerbern. Man konnte die Fragezeichen auf deren Stirn sehen.
Ein bemerkenswertes Zeichen von … ja, was eigentlich?
Feigheit?
Unsicherheit?
Oder einfach pure Lustlosigkeit?
Auch intern zeigt sich dasselbe Muster:
Ein potenzieller Systemkunde fragt im „Bewerbungsgespräch“ oder auch Pitching nach vorhandenen technischen Zertifizierungen.
Der Technikverantwortliche (der neue Geschäftsführer) antwortet nicht – sondern gibt die Frage an die Kommunikationsleiterin weiter. Zitat: “das kannst Du sicher besser beantworten“.
Denn offenbar:
„Technik erklären“ gehört nicht zur Jobbeschreibung eines Technikverantwortlichen.
Immer wieder wird Verantwortung weggeschoben, als sei sie kontaminiert.
Wie nennt man eigentlich das Verhalten, wenn A etwas von B will, aber sich feige an C wendet?
Kommunikationsmuster aus der Sandkastensozialisation.
Im Unternehmenskontext: Dysfunktion pur.
Oder auch:
Passive Aggression für Fortgeschrittene.
Die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen.
Oder schlicht: Feigheit in Reinform.
Früher waren die beiden Leitfiguren des Unternehmens sichtbar, meinungsstark, präsent.
Heute? Ein Phantom.
Der einzige Unterschied zum Schatten: Schatten erscheinen wenigstens zuverlässig bei Licht.
Aber hey – wer braucht schon Auftrittskompetenz oder Kundenbindung, wenn man lieber an der Wand entlang huscht wie ein schlecht gelaunter Praktikant?
3. Vom USP zum Betriebsunfall – der Preis des Beliebigseins
Oder auch: USPs in den Müll – mit Anlauf und Absicht
In der Wirtschaft zählen Alleinstellungsmerkmale. Oder im Marketingsprech: „USP matters“.
Also? Weg damit!
Das Unternehmen wird zurückgebaut zur reinen Techbude. Standardangebote only.
Damit tritt man in Konkurrenz zu Platzhirschen, die das auch schon seit Jahrzehnten machen – zehnmal größer sind und ein Drittel kosten.
Eine brillante Idee, wenn man möglichst schnell und gründlich verschwinden will.
Der neue Kurs in der Übersicht:
- Langjährig aufgebaute eigene Medien-Formate? Eingestellt.
- Persönliche öffentliche Präsenz? Abgelehnt.
- Kundenbindung? Zu anstrengend.
- Vorhandene USPs? Wegretuschiert.
- Prozesswissen? Ignoriert.
- Verantwortliche Mitarbeitende? Weggemobbt.
Das Ergebnis:
USP? Geschichte.
Währenddessen:
- Dokumentierte Abläufe? Ignoriert.
- Kundenversprechen? Gebrochen.
- Aufträge? Liegen gelassen.
Und dann das Sahnehäubchen:
Ausgerechnet in einem Bereich, der mal das Kompetenz-Flaggschiff des Unternehmens war – werden heute Anfängerfehler gemacht, für die sich ein Azubi im ersten Monat schämen würde. Wettbewerber, Kunden und Vorlieferanten sehen das und sind begeistert bis verwirrt.
Aber klar:
Warum vorhandenes und dokumentiertes Wissen nutzen, wenn man auch ahnungslos improvisieren kann?
Man kann Technik kaufen.
Kompetenz aber muss man pflegen.
Wer das ignoriert, bekommt früher oder später die Quittung.
Und die sieht oft aus wie:
Kündigungen.
Abwandernde Kunden.
Reputationsverlust.
Oder kurz: ein Betriebsunfall mit Ansage.